Den Kinderschutz verbessern
- Rainer Koch
- 10. Jan. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Feb. 2023
Das Bundesland Rheinland-Pfalz will 2022/2023 nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen den Kinderschutz verbessern.
Dazu soll das Heilberufsgesetz in §24 Abs.1 Nr.1 geändert werden und die Schweigepflicht von Ärzten, Psychotherapeuten und anderen in Heilberufen Tätigen aufgehoben werden.
Beim Verdacht, daß „Minderjährige von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt oder Vernachlässigung betroffen sind, sind sie zur Offenbarung auch im Rahmen eines interkollegialen Ärzteaustausches befugt“, so der Änderungsvorschlag.
Was erhofft man sich durch die Änderung des Heilberufsgesetzes?
mehr rechtliche Sicherheit für die Ärzte und Psychotherapeuten
eine Verbesserung der Diagnose durch kollegiale Beratung
eine Beendigung des „Doctor hoppings“ , bei dem misshandelnde Eltern laufend die Kinderärzte wechseln, um die Gewalttätigkeit am Kind zu verbergen.
Als einer von mehreren Experten war ich zu einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Landtages Rheinland-Pfalz geladen.
Meine Stellungnahme zur Änderung des Heilberufgesetzes:
Die Änderung des Gesetzes ist unbedingt zu befürworten.
Der kollegiale Austausch muss allerdings mit einer kompetenten Institution erfolgen. Das Gespräch mit anderen Kinderärzten hilft, aber nur wenig. Nötig ist eine zentrale rechtsmedizinisch und psychologisch kompetent besetzte Institution wie das KKG in Köln ( Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen NRW). Die umgehende Konsultierung eines solchen Kompetenzzentrums sollte verpflichtend werden, falls ein Verdacht auf Kindesmisshandlung kollegial besprochen werden soll.
Ein zentrales bundesweites Register für die Meldungen des Verdachtes auf Kindesmisshandlungen ist dringend nötig. Eine weitergehende wirksame Bekämpfung von Kindesmisshandlungen und des sog. „Doctor-Hoppings“ ist alleine durch das kollegiale Gespräch nicht möglich. Hierzu ist ein zentrales offizielles Register wie Riskid unbedingt nötig. Ähnliches gibt es als Substitutionsregister bei der Bundesopiumstelle, zur Erfassung und Verhinderung des Missbrauches der Methadonvergabe an Drogenabhängige.
Eine Datenerhebung unter den niedergelassenen Kinderärzten ist dringend nötig. Es liegen kaum reliable Daten zum Thema „Kinderärzte und Kindesmisshandlungen“ vor. Eine verpflichtende Befragung aller niedergelassenen und stationär tätigen Kinderärzte zur Häufigkeit und zum ärztlichen Umgang mit Kindesmisshandlungen in RLP sollte durchgeführt werden. Hier sollte auch eruiert werden, ob und wieviele Meldungen an Jugendämter oder Kooperationen mit zertifizierten Kinderschutzfachkräften realiter erfolgt sind.
Probleme der ärztlichen Praxis
Die Kinderärzte haben durch die Früherkennungsuntersuchungen U1 – U9 eine Schlüsselrolle inne zur Entdeckung und Beendigung von Kindesmisshandlungen. Die Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen liegt bei fast 98 % aller Kinder bis zum 6. Lebensjahr. Das ist genau der Zeitraum, in dem die meisten Kindesmisshandlungen erstmals und auch fortgesetzt stattfinden.
Leider gibt es in Deutschland – anders als in den USA etwa – keine eindeutige Meldepflicht beim Verdacht auf kindesschädigendes Verhalten an das Jugendamt bzw. die Polizei.
Ich habe in meinem Berufsleben mehrere tausend junge oder erwachsene Patienten erlebt, die fast alle in der Kindheit Verwahrlosung, Misshandlung oder Missbrauch erfahren haben.
Ich habe darunter aber niemals einen Fall erlebt, bei dem die Intervention eines niedergelassenen Kinderarztes ursächlich zur Aufdeckung einer Kindesschädigung führte.
Das mag nun Zufall sein oder ein Mangel an Information. Diese könnte auch verlorengegangen sein auf dem Weg der Patienten oder der Akten bis hin zu mir. Manche Kinderärzte überweisen auch eher zu Kinderkliniken, welche dann die Misshandlung aufdecken.
Ich vermute allerdings, daß hier auch gravierende Probleme der Praxis eine Rolle spielen.
Einige dieser Probleme sind:
Die Beschäftigung mit Kindesmisshandlungen ist psychisch ungeheuer belastend. Selbst in Institutionen tendieren manche Fachkollegen zur Verleugnung oder Bagatellisierung dessen, obwohl sie in der Regel viel Unterstützung von Kollegen, Supervisoren oder Vorgesetzten haben. Das habe ich oft genug erlebt. Die niedergelassenen Ärzte dagegen bleiben im Unterschied dazu völlig allein mit der seelischen Belastung, abgesehen von den Arzthelferinnen der Praxis, die aber keine dafür kompetenten Ansprechpartner sind.
Kinderärzte haben kaum Zeit. Sie müssen meist unter hohem Zeitdruck in enger Taktung arbeiten, die Praxen sind oft rappelvoll, wie etwa zu den Erkältungszeiten. Den Ärztemangel gibt es auch hier. Ein eruierendes Gespräch mit einem ängstlichen, misshandelten Kind braucht aber sehr viel Zeit und sehr viel Ruhe. Dazu kommen noch die nötigen Gespräche mit Eltern, Mitarbeitern vom Jugendamt und anderen, die ebenfalls viel Zeit beanspruchen .
Man hat Angst vor den sozialen Konsequenzen. Mit den Eltern, erst recht den mißhandelnden, sind heftige und laute Konflikte zu erwarten. Diese finden vor den Augen und Ohren vieler anderer Patienten in der Praxis statt. Kein Arzt mag das.
Es fehlt an forensisch - kommunikativer Kompetenz und psychotherapeutischen Kenntnissen. Auch familiäre Kindesmisshandler sind meistens Wiederholungstäter, bzw. Serientäter. Ist das Tabu der Gewalt gegen das eigene Kind einmal verletzt, bleibt es meist nicht bei einer Misshandlung, sondern wiederholt sich zunehmend. Manche Täter sind, auch aus anderen Zusammenhängen, sehr geübt in der Manipulation von Ärzten, Ämtern, Erziehern, Sozialarbeitern, Psychologen. Dem ist nicht jeder gewachsen.
Es fehlt an diagnostischer Kompetenz. Die Kompetenz zur fachlichen differenzierten Begutachtung von Misshandlungen ist sicherlich nicht jedem Arzt gegeben. Hier braucht es Spezialisten, nicht nur zur Bestätigung eines Verdachtes, sondern auch zur Entkräftung eines Verdachtes.
Die Vergütung ist schlecht. Zur Feststellung einer Kindesmisshandlung oder Kindesmissbrauch sind oft umfassende Untersuchungen nötig. Diese und die schwierigen Gespräche mit dem Kind, seinen Eltern und den Ämtern werden kaum finanziell adäquat vergütet. So etwa ist das Gespräch mit dem Kind nach der aktuellen Gebührenordnung EBM 3/2022 Ziffer 04355 als Sozialpädiatrisch orientierte eingehende Beratung, Erörterung oder Abklärung, mindestens 15 Minuten mit 20,73€ vergütet.
Man hat Angst vor sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Es bestehen Ängste vor wirtschaftlichen Schäden für die Praxis, falls die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bei Kindesmisshandlung bekannt würde, insbesondere bei nachfolgendem Kindesentzug. Man muss sich einmal vorstellen, was in den sozialen Medien und Gazetten losbrechen kann, wenn Eltern dort eine mediale Lawine gegen einen Kinderarzt lostreten würden.
Worum ich das rheinland-pfälzische Parlament gebeten habe
Es gibt sicher noch mehr nachvollziehbare Gründe für niedergelassene Ärzte, für Kinderärzte besonders, für Psychotherapeuten und auch andere Behandler, die Thematik der Kindesschädigung möglichst zu vermeiden. Auch diese muss man ernstnehmen.
Deshalb habe ich die Parlamentarier, die ernsthaft bestrebt sind, etwas Gutes zur Verbesserung des Kinderschutzes zu tun, um 2 Dinge gebeten:
Bitte formulieren Sie Gesetze, die möglichst eindeutig sind und verpflichtende Formulierungen beinhalten. Das gilt auch für die Abfolge und Adressierung des Tuns von Ärzten, Psychotherpeuten oder anderen Heilberufen. Es muss also auch ein gewisser Zwang her, um ein mehr an erwünschter Qualität zu erreichen. Keine Kann-, keine Soll-, sondern Muss-Bestimmungen.
Bitte arbeiten Sie gemeinsam mit Leistungsträgern und Berufsverbänden daran, die Rahmenbedingungen positiv zu verändern. Es muss insbesondere für niedergelassene Kinderärzte machbar und erträglich werden wie auch finanziell adäquat vergütet, wenn sie sich im Kinderschutz mehr engagieren als bislang.
Mein Fazit zur Gesetzesänderung des Heilberufgesetzes
Wir haben in Deutschland ein qualitativ äußerst gutes System der frühen Fürsorge für Kinder und Jugendliche.
Durch die quasi verpflichtenden Früherkennungsuntersuchungen U1-U9 vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr können Kinderärzte und -ärztinnen aber noch eine weitaus größere Rolle in der frühen Verhinderung gravierender Schäden an Körper und Seele von Kindern spielen als dies bislang geschieht.
Die Öffnung der Schweigepflicht beim Verdacht auf Kindesschädigung ist ein guter, aber kleiner Schritt auf dem Weg zur Verbesserung dessen. Andere müssen folgen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es nicht nur in Rheinland-Pfalz gelänge, über diese Gesetzesänderung hinaus die Bedingungen dafür herzustellen.
Comentarios